Eine Reise durch die inneren Jahreszeiten

Unser Vereinsname „Freunde naturgemäßer Lebensweise“ inspirierte mich dazu, nachzudenken, was für mich als Frau eine naturgemäße Lebensweise bedeutet. Als erstes ist mir dazu eingefallen, dass es das naturgemäßeste und natürlichste (wenn auch manchmal herausfordnernde) Leben mit unserem Zyklus & der Fruchtbarkeit ist. Mit den hormonell bedingten Wellenbewegungen, unseren inneren Jahreszeiten sozusagen.

Die meisten Frauen in meinem Umfeld, mit denen ich mich unterhalten habe, haben in ihrem Leben zumindest ein Mal schon mit ihrem Zyklus gekämpft, viele kämpfen ständig. Manche haben ihren Zyklus durch synthetische Hormone ganz abgestellt. Ich möchte euch heute von meinem Zugang zu dem Thema erzählen, nicht zu kämpfen, sondern mit dem Fluss zu gehen. Was ich damit meine?

Unsere Gesellschaft ist im Gros auf lineares Leistungsdenken ausgerichtet und aufgebaut. Dies entspricht einem männlichen Modell. Wenn zyklische Wesen versuchen linear zu leben, verursacht das Kampf, weil man sich gegen den Fluss der natürlichen Gegebenheiten stellt. Gegen das Wirken der Hormone und gegen den eigenen Körper. Dies kann in vielfältigen Beschwerden resultieren, die dann zusammenfassend als „Frauenleiden“ klassifiziert werden und vielen Frauen das Gefühl geben, mit ihnen stimme etwas nicht – dabei ist mit ihnen alles in bester Ordnung. Es ist das System das krankt. Weil es auf konstantes Leisten ausgerichtet ist und nicht Rücksicht daruf nimmt, das Frauen eben keine „kleinen Männer“ sind, sondern rein körperlich andere Bedürfnisse haben und daraus aber auch andere Vorteile gezogen werden können, als durch die Maxime der höchstmöglichen Leistung (die übrigens Männern auch nicht gut tut).

Nun sind die meisten Frauen in unserer westlichen Gesellschaft in die Richtung geprägt, in diesem Hamsterrad mitlaufen zu müssen. Und seien wir uns ehrlich – es geht of einfach nicht anders! Die Herausforderungen zwischen Berufsleben, dem Leben als Partnerin, Mama, Tochter, pflegender Angehöriger uvm sind enorm. Was es meiner Meinung nach braucht, sind „Ruheräume“ im Alltag, wenn sie am dringendesten gebraucht werden. Wenn man sich das aus zyklus-basierter Perspektive anschaut, sind das (für die meisten Frauen) die Tage vor der Blutung und die Tage der Blutung. In der Blutung sind die Hormone Östrogen und Progesteron am Tiefststand, gleichzeitig somit auch das Energielevel und die Begeisterung dafür, mit Gegebenheiten der Leistungsgesellschaft oder auch allgemein der „Außenwelt“ in Kontakt stehen zu wollen. Der Körper gibt oftmals klare Signale zu ruhen… Bei Krämpfen im Schoßraum oder gesamten Bauchraum, Rücken, periodenbedingten Verdauungsproblemen, Kopfschmerzen, Erbrechen, starker Müdigkeit, Schwindel uvm ist es meiner Meinung nach ganz einfach nicht angezeigt, in unbequemer Kleidung und unangenehmer Haltung am Bürotisch zu sitzen und eine Aufgabe nach der anderen abzuarbeiten, wenn es über die einem im Moment verfügbaren Kräfte geht. Es ist für viele Frauen ein Kampf, der zu noch mehr Krampf führt. Dies wäre die Zeit, um Aufgaben aus der Arbeit mit nach Hause zu nehmen (Danke Corona für die Forcierung des Homeoffice). Das Unternehmen „Coexist“ in England hat genau das nach der Coronazeit eingeführt. Mit großem Erfolg! Langfristig gedacht, ist genau das der Weg, um weiblichen Angestellten die Möglichkeit zu geben, das Beste aus ihren Fähigkeiten herauszuholen. Das internationale Multimillionen-Unternehmen LinkedIn hat 2020 seinen Mitarbeiterinnen erstmals die Möglichkeit geboten, bei der österreichischen Zyklusexpertin Anna Nussbaumer einen Workshops zu besuchen, um genau diese zyklisch-hormonellen Wellenbewegungen verstehen und für den Erfolg des Unternehmens nutzen zu lernen. Italien hat vor einiger Zeit einen bezahlten 3 Tages-Periodenurlaub eingeführt. Eine Revolution. In Asien ist dies aber seit Jahrzehnten gesetzlich verankert. Wie viele Frauen aus Angst vor Nachteilen männlichen Kollegen gegenüber dieses Angebot nicht annehmen, bleibt zu sehen. Trotzdem: ein Schritt in die richtige Richtung.

Denn nur, weil es anscheinend eine kraftlose Zeit ist, heißt das nicht, dass die Kraft weg ist! Sie ist nur wo anders – dies ist eines der Geschenke der Mens: eine unvergleichbar hohe Fähigkeit seine Intuition und innere Stimme klar zu hören. Wie in der Natur ist im Winter die Kraft der Pflanzen unsichtbar unter dem Erdreich, in den Wurzeln. Für Frauen ist es nicht anders. Niemand würde im Winter daran denken, Bäume künstlich zum Blühen zu bringen, weil blühende Bäume schöner oder nützlicher sind. Sie brauchen den Winter um Kräfte für die kommenden Jahreszeiten zu sammeln, sich zu regenerieren. Ohne Sommer kein Herbst, ohne Winter kein Frühling.

Und wie es auch in den Jahreszeiten ist: nach jedem Winter kommt ein Frühling. Nach jeder Phase der Blutung, in der Frauen das Geschenk der wahren Ruhe finden können, folgt ein Frühling, in dem das Hormon Östrogen wieder aufsteigt, wie die Pflanzensäfte im März.  Mit dem steigenden Östrogenlevel steigt auch die Leistungsfähigkeit, Kommunikationsgabe/Eloquenz, Energielevel und die Fähigkeit, Dinge aus einer rationaleren Haltung zu sehen. Die nächsten zwei Wochen im Zyklus sind diesen Qualitäten gewidmet und ebnen den Weg für sensationelle Leistungen in Beruf und Privatleben – vorausgesetzt man hat sich im „inneren Winter“ ausreichend ausgeruht! Um den Eisprung herum, dem Höchststand des Östrogens, befinden sich die meisten Frauen somit auch im Höchstand ihres Wohlbefindens, ihrer Ausstrahlung, Energielevels, Sinnlichkeit usw – will doch mit der springenden Eizelle neues Leben entstehen (ungeachtet eines etwaigen Kinderwunsches). Wer sich seine wichtigen Termine, Präsentationen und Projekte, Datenights und Verpflichtungen in diese Zeit legt kann nur gewinnen.

Bevor es nach diesem inneren Frühling und Sommer Richtung Herbst geht, wo das Östrogen fällt und das  Progesteron steigt. Die Zeit der Vorbereitung auf den Winter. Der Körper braucht je näher es zur Blutung kommt, sehr viel Energie um dieses Geschehnis überhaupt in Gang zu setzen! Die Aufmerksamkeit wird vom „Außen“ abgezogen und richtet sich langsam auf innere Prozesse. Man fühlt sich vielleicht unrund oder gereizt und gleichzeitig energiegeladen. Es ist die Zeit, wo das Fühlen den Vorrang hat. Und die meisten Frauen fühlen in dieser Zeit sehr viel. Gefühle, die sonst einfach wegversteckt werden können, lassen sich nicht mehr so leicht unterdrücken, sondern wollen gesehen werden. Eine schöne Chance, sein Leben „ohne Filter“ unter die Lupe zu nehmen und zu reflektieren. Die Fähigkeiten dafür sind in der zweiten Zyklushälfte anders ausgeprägt als in der ersten. Immer mehr Frauen sind am Weg, mit dieser Kraft umgehen zu lernen. Und da darf man getrost geduldig mit sich selber sein, wurden wir doch über die Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, als irrational und hysterisch bezeichnet, wenn sich starke Gefühle zeigten. Eine Respektlosigkeit, die gesellschaftlich vielerorts auch heute noch zu finden ist. Wer es schafft, diese Kraft, die sich auch als Wut und Gereizthat zeigen kann, anzunehmen und lernt sie zu lenken, kann unvermutete Geschenke finden. In der Archetypenlehre ist dies die Zeit der stolzen Amazone, der würdigen Kriegerin, der Zauberin. Es sind kraftvolle Worte für eine kraftvolle Phase. Es ist also die Zeit des Reflektierens, des Planens, des Grenzenziehens, aber für mich persönlich nicht unbedingt die Zeit des Umsetzens – die Zeit dafür kommt im nächsten Frühling und Sommer. Davor steht wieder die Zeit des Ruhens an,  in der man mit allen Geschenken eines vorangegangenen Zyklus in einen neuen Monat und Kreislauf startet.

Ruhen – Aufblühen – Strahlen – Reflektieren – Ruhen…

Neumond – Zunehmender Mond – Vollmond – Abnehmender Mond – Neumond…

Winter – Frühling – Sommer – Herbst – Winter…

Jeden Monat auf’s Neue. Jeden Monat den ewigen Tanz zwischen Werden und Vergehen im eigenen Körper kennenlernen, achten, nutzen und vor allem lieben (lernen).

Das ist weibliche Selbst-Kompetenz. Ohne Scham. Ohne Flüstern. Ohne Kampf. Dafür aber in Bewusstein für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und in Anerkennung für die Fähigkeiten und Geschenke die ein Leben als zyklisches Wesen mit sich bringen. Und glaubt man es oder nicht, sobald Frauen sich ihren Zyklus „zurückerobern“ und das Geschenk darin erkennen, hat es sich oft auch ganz schnell mit den „Frauenleiden“ erledigt.

Ich freue mich, dass immer mehr Frauen bewusst mit ihrem Zyklus leben und dadurch Kräfte aufschlüsseln können, deren Entdeckung vielen unserer Ahninnen verwehrt geblieben ist.

In diesen Sinne, alles Liebe,

eure Katja

 

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